Sunday, January 27, 2013

Die naturalistische orientalische Hainbuche
von Walter Pall
http://walter-pall.de/


Jeder kennt die europäische Hainbuche (Carpinus betulus). Sie ist mit Recht einer der beliebtesten heimischen Bäume für die Bonsaigestaltung. Die orientalische Hainbuche (Carpinus orientalis) ist jedoch noch weithin unbekannt. Sie ist ganz hervorragend als Bonsai geeignet: Die Blätter sind sehr klein, im Sommer hell grün, im Herbst leuchtend gelb; das Nebari ist meist gut bis sehr gut; der Stamm und die Äste wachsen immer charaktervoll; die Hainbuche ist winterhart; solange sie vor strengem Frost und vor allem vor Spätfrost geschützt wird; sie wächst gerne in kleinen Gefäßen; auf aggressive Wässerung und reichliche Düngung spricht sie außerordentlich gut an; in wenigen Jahren kann eine ganz dichte Krone geschaffen werden. Die orientalischeHainbuche kommt in Südosteuropa in eher trockenen Gegenden vor, sie gedeiht jedoch im deutschen Klima prächtig.

Die vorgestellte Hainbuche wurde von einem Mann in Kroatien gefunden, der folgendes zu mir sagte :"Die Kollegen nehmen riesige Büsche mit ganz langen Ästen und schneiden die kurz und klein. In wenigen Jahren entstehen so unglaublich gute kleine Bäume. Ich bin dazu nicht in der Lage, ich kann in einem großen Strauch keinen Bonsai erkennen. Also musste ich sehr lange suchen, bis ich eine Hainbuche fand, die schon von Natur aus so gestalte war, wie ich mir einen schönen Bonsai vorstelle". Da hat der Mann tatsächlich recht. Normalerweise findet man nie einen 'Bonsai' in der Natur, sondern höchstens Bonsaimaterial. In diesem Fall war das ein einmaliger Glücksfall. Der Baum konnte tatsächlich mehr oder weniger wie gefunden gestaltet werden. Man kann sehen, dass am Anfang doch recht stark geschnitten wurde. Aber es gibt keine zu großen Löcher, die nie zuwachsen werden. Die vorhandenen Wunden werden in wenigen Jahren ganz verschwunden sein.

Das ist also ein Baum für Puristen. In Japan gibt es nämlich eine weitgehende Übereinkunft dahingehend, dass Laubbäume unversehrt, ja geradezu jungfräulich zu sein haben. Große Wunden, Löcher und gar Jins sind verpönt. Wer mich kennt, der weiß, dass mich das geradezu ermuntert, genau das Gegenteil zu tun. Ich habe hunderte Laubbäume mit großen Löchern und mit Totholz gestaltet. Jedoch ist der hier gezeigte Baum für mich auch etwas besonderes.

Trotzdem mag die Hainbuche bei Traditionalisten anecken. Es steht ja ganz genau in schlauen Bonsaibüchern, wie eine Besenform auszusehen hat; jeder weiß das. Dieser Baum hält sich nur bedingt an diese Regeln. Er sieht letztlich eher wie ein wilder Baum in der Natur aus als ein Bonsai. Nun, das war genau war das Ziel der Gestaltung. Es sollte ein echter, natürlich Baum daraus werden, der keine Ahnung von irgendwelchen Regeln hat und einfach wächst wie es ihm gegeben ist. So was nennt man naturalistisch Bonsaigestaltung. Man soll den Eindruck haben, dass der Baum so gefunden wurde und ihn niemals ein Mensch bearbeitet hat. Am besten kann man das erkennen, wenn der Baum in eine echte Landschaft projiziert wird. Ein 'Bonsai' würde dann wie ein Fremdkörper wirken.

Natürlich kann man einwenden, dass die Hand  des Menschen doch deutlich sichtbar ist. Da sind die vielen Wunden; dann ist der Übergang von den abgeschnittenen dickeren Ästen zu der feinen Verzweigung deutlich sichtbar.  In einem internationalen Forum hat einer geschrieben "Was da gezeigt wird ist ja gut und schön, aber verglichen mit großartigen japanischen Ahornen sieht man natürlich einen großen Unterschied in der Qualität. Die Ahorne sind unversehrt und haben eine ganz natürlich wirkende Verzweigung ohne krasse Übergänge und sind insgesamt höchst harmonisch und ansprechend." Nun, das ist wohl richtig. Aber der Baum ist ja beim letzten Bild erst 33 Monate in der Gestaltung. Ich denke, dass es recht bemerkenswert ist, dass es die orientalische Hainbuche zuläßt in so kurzer Zeit einen vorzeigbaren Bonsai zu gestalten. Er steht aber trotzdem erst am Anfang. Die durchaus vorhandenen Fehler geben sich ganz von selbst in den nächsten Jahren. Es ist nicht fair ihn jetzt schon mit Bäumen zu vergleichen, die seit dreißig bis fünfzig Jahren bearbeitet wurden. Man könnte schon eher so einen japanischen Ahorn dagegen stellen, der seit 33 Monaten bearbeitet wurde.

Wenn die Hainbuche noch weiter zwanzig Jahre intensiv gestaltet wird, dann kann sie gerne ernsthaft verglichen werden. Vor dem Wettbewerb  muss sich der Baum dann wohl nicht fürchten.

 Bilder für "Die naturalistische orientalische Hainbuche"
von Walter Pall

Bild 1:  2010-03: Bei einem Seminar der Internationalen Bonsai Akademie in Kastela bei Split in Kroatien wurde dieser Baum gezeigt. Sofort habe ich mich in ihn verliebt und konnte den Besitzer davon überzeugen, dass der Baum bei mir gut aufgehoben war.


Bild 2: 2010-03: In meinem Garten ging es dann gleich los. Zuerst wird der Baum analysiert  indem er mehrfach gedreht wird. Ich will jetzt noch nicht     die endgültige Vorderseite finden, sondern einige mögliche. Der Baum wurde im Frühjahr 2009 ausgegraben. Dafür ist er bereits sehr reichlich verzweigt.





Bild 3: 2010-03: Die Hainbuche hat  prächtige Anlagen, aber es war zu dem Zeitpunkt noch einiges heraus zu schneiden. Zuerst wird weiter gedreht, damit da nichts wegkommt was mir danach leid tut.




Bild 4: 2010-03: Das sieht schon mal gar nicht schlecht aus. Könnte man fast so lassen. Wenn man nicht weiß, welche Vorderseite die beste ist, dann hat man ein Luxusproblem.





Bild 5: 2010-03: Bei der Auswahl wird in erster Linie auf das Nebari geblickt, dann auf das unter Drittel des Stammes und die Position der Äste bzw. Sub-Stämme. Alles andere kann man mit einfachen Mitteln langfristig korrigieren.




Bild 6: 2010-03: Die meisten würden in diesem Stadium auf den oberen Teil der Krone sehen und danach beurteilen. Das ist keine gute Vorgehensweise. Der obere Teil der Krone ist jetzt nicht wichtig, da kommt ohnehin vieles weg.







Bild 7: 2010-03: Das mag jetzt Viele erschrecken. Zu diesem Zeitpunkt ist es leider notwendig, sehr viele Äste zu entfernen, die irgend wann zum Problem werden. Dabei wird von unten nach oben ringsherum gearbeitet. Auf unmittelbare Ästhetik wird jetzt kein Wert gelegt.




Bild 8: 2010-03: Diese Seite sticht mir schon wieder ins Auge. Die dünnen Äste werden bis auf wenige Knospen zurück geschnitten. So entsteht wieder Raum für Zuwachs. Weil dieser Rückschnitt den Baum erst einmal hässlich macht, sieht man kaum jemals Laubbaumgestaltung auf der Bühne.




Bild 9: 2010-03: Die Silhouette war vorher besser. Jetzt wird die Krone absichtlich deutlich verkleinert. Wenn ich die ursprüngliche Krone belassen hätte, dann wäre durch den jährlichen Zuwachs die Krone bald zu groß geworden.






Bild 10: 2010-03: Die zu große Krone müsste man dann in einigen Jahren wieder kräftig verkleinern. Da ist es viel besser, konsequent zu sein. Kurzfristige Schönheit wird geopfert für langfristige Qualität.







Bild 11: 2010-03:   Weil ja bloß geschnitten wurde und nicht gedrahtet kann sofort auch umgetopft werden. Der Baum hat sehr viele kräftige Wurzeln gebildet und kann sofort in eine gute Bonsaischale gesetzt werden. Orientalische Hainbuchen halten das locker aus.





Bild 12: 2010-03: Das ist ein mächtiger Klotz von Wurzelballen. Die meisten würden jetzt ganz vorsichtig mit der Kralle das Substrat entfernen. Das kann man natürlich machen, aber schonender als meine Methode ist es auch nicht.




Bild 13: 2010-03: Außerdem  ist es nicht nötig. Eine scharfe Säge macht das in wenigen Sekunden. Das mag jetzt wieder Viele erschrecken, ist aber ganz professionell.



Bild 14: 2010-03: Auch rund herum kann ohne weiteres mit der Säge gearbeitet werden. Jetzt kann man endlich auch die außerordentliche Qualität des Nebari erkennen.



Bild 15: 2010-03: Nun braucht man ein große Auswahl and Schalen in der richtigen Größe. Der Baum kann sofort in die endgültige Schale gesetzt werden.
Der Wurzelballen passt ganz sicher.




Bild 16: 2010-03: Die Hainbuche hat mehrere gute Seiten, zwei liegen ziemlich genau gegenüber. Deshalb wurde dann diese gewählt. Pawel schaufelt modernes Substrat in die Schale. Die Schale ist von Petra Tomlinson und scheint mir sehr gut geeignet.




Bild 17: 2010-03: Das Substrat besteht in diesem Fall aus Blähton, der mit 20 % grobem Torf angereichert wurde. Es ist jetzt wichtig, dass das Substrat gut in die Wurzeln eingearbeitet wird.



Bild 18: 2010-03: Das sieht doch schon mal gut aus! Nur das untere Drittel des Baumes ist jetzt wichtig. Oben kann man viel verändern, unten kaum etwas. Die Schale wirkt jetzt ein wenig zu groß, aber die Krone wird in Zukunft deutlich größer werden.




Bild 19: 2010-03:  Diese Seite sieht auf Fotos am besten aus. In Wirklichkeit ist sie nicht unbedingt die beste. Das macht aber nichts. Dann wird der Baum eben einfach umgedreht.





Bild 20: 2010-03: Luxusproblem! Sag ich doch. Was ist denn nun die beste Seite? Egal, erst einmal geht es in die Verfeinerungsphase. Ein naturalistischer Bonsai muss von allen Seiten glaubhaft wirken. Es ist erwünscht, dass man sich kaum für die beste Seite entscheiden kann.





Bild 21: 2010-06: Bereits drei Monate nach der Erstgestaltung ist der Baum schon gut vorzeigbar. Das kleine Laub macht sich ganz prächtig. Die Blätter werden sogar noch kleiner, wenn der Baum lange nicht umgetopft wird.




Bild 22: 2010-11: Das ist ja schon sehr erfreulich! Das Laub der orientalischen  Hainbuche ist nicht nur filigran, sondern auch im Herbst sehr schön gelblich und besser als das der europäischen Hainbuche. Die Schale wirkt immer noch etwas zu groß.





Bild 23: 2010-11:  Jetzt kann man erkennen, dass das Nebari eine deutlich andere Farbe hat als der Stamm und die Äste. Es war ja auch unter der Erde. Die Herausforderung besteht nun darin, diesen Fehler über die Jahre zu beseitigen.




Bild 24: 2010-12: Wenn die Blätter ab sind, kann man einen Laubbaum am besten beurteilen. Man sieht leider aber auch jeden Fehler ganz genau. Der wilde, ein wenig ungeordnete Eindruck ist gewollt. Es wird ja kein Bonsai gestaltet, sondern ein Baum.




Bild 25: 2010:12: Zuerst wird in der Krone noch bereinigt, ev. werden auch noch dickere Äste entfernt. Der Neuaustrieb vom vergangenen Sommer wird bis auf zwei oder drei Knospen zurück geschnitten. Die dicken Äste werden mit Zugdraht abgespannt.




Bild 26: 2011-05: Die Krone ist jetzt schon wieder sehr dicht. Der Baum ist so zwar gut vorzeigbar, aber er wirkt trotzdem besser ohne Laub. Bei Laubbäumen muss man sich entscheiden, ob man sie für die Ansicht mit oder ohne Laub gestaltet. Amateure entscheiden sich meist für die Sommer-, Profis für die Winteransicht.




Bild 27: 2011-11: Ja, da kommt Freude auf. Nach bloß zwei Vegetationsperioden ist die Hainbuche schon fast 'fertig'. Nun ja, das Nebari muss immer noch mit Jinmittel angemalt werden, bis es die Farbe des Stammes hat. Und die Krone sollte noch etwas and Umfang und Feinverzweigung zulegen.




Bild 28: 2011-11: Es ist immer noch gut sichtbar, wo die dicken Äste gekürzt wurden. Die neuen Ästchen sind noch zu dünn. Der Fehler gibt sich im Laufe der Jahre ganz von selbst. Für Puristen ist es wichtig, dass dieser Baum keine großen Schnittstellen aufweist.



Bild 29: 2011-11: Zufriedenheit ist der Tod des Künstlers! So gut das auch immer aussieht, das kann noch besser werden. Die dicken Äste sind mit Draht kaum biegbar, mit Spanndraht geht das jedoch recht gut. Es sieht aber vorerst ganz schlimm aus.




Bild 30: 2011-11: Bei der Gestaltung wird immer noch rund herum gearbeitet. Der Baum muss von allen Seiten glaubhaft aussehen. Irgend wann ergibt sich dann die beste Seite von selbst. Es soll ja ein natürlicher Baum entstehen und kein 'Bonsai'.




Bild 31: 2012-12: Das ist dann ein Jahr später der Lohn für die ganz Arbeit. Die Feinverzweigung ist in drei Vegetationsperioden beachtlich fortgeschritten. Die dicken Äste sind gebändigt, aber man merkt es nicht wirklich. Es wirkt als wäre alles von selbst so gewachsen.




Bild 32: 2012-12: Jetzt stört mich immer noch die dunkle Farbe des Nebari. Das wird wieder mit Jinmittel angemalt. Im Sommer scheint die pralle Sonne drauf. Irgend wann wird es die Farbe des Stammes annehmen.




Bild 33: 2012-12: Es sind nun 33 Monate seit der Erstgestaltung vergangen, 42 seit dem Ausgraben. Jetzt ist der Baum bereits reif und kann vorgezeigt werden. Allerdings ist das erst der Anfang. In den nächsten Jahren wird er sich noch deutlich verbessern.



Bild 34: Ob ein Bonsai wirklich gut naturalistisch gestaltet wurde kann man einfach feststellen indem man ihn in eine Landschaft projiziert. Wenn er sich dort problemlos einordnet und nicht als Fremdkörper erscheint, dann handelt es sich um gelungene naturalistische Bonsaigestaltung.